Kim Myhr und ein »Silence Meal« beim Jazzfest Berlin
Außerdem: Maciej Obara Quartet und Christian Winther
melting pot: made in berlin
Christian Winther u. a.
Do, 1. November, 19.30 Uhr
Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle
melting pot ist ein seit 2013 bestehendes interdisziplinäres Improvisations-Projekt junger europäischer Jazzmusiker*innen und Künstler*innen anderer Bereiche (Spoken Word, Tanz, bildende Kunst), das aus dem 2007 von Nadin Deventer initiierten Kooperationsverbund jazzplayseurope hervorgegangen ist. Nachdem bereits zehn Ausgaben von melting pot als Teil des Jazztopad Festival am Nationalen Forum für Musik in Breslau ausgetragen wurden, gibt es nun die erste Berliner Ausgabe mit einem Zusammentreffen von fünf starken Endzwanzigern, die eine breite Skala von Spielerfahrungen und -möglichkeiten einbringen: mit der belgischen Bassistin Anneleen Boehme (Gent, LAB Trio), der polnischen bildenden Künstlerin Lena Czerniawska (Berlin), dem mexikanischen Vibraphonisten Emilio Gordoa (Berlin, Move Quintet, Per Zanussi Ensemble), dem polnischen Trompeter Kuba Kurek (Breslau) – dessen spielerische Brillanz sich schon in vorigen Ausgaben gezeigt hat – und dem norwegischen Gitarristen Christian Winther (Oslo, Monkey Plot, Ich bin Nintendo, Trondheim Jazz Orchestra). Eine Besonderheit dieser ersten Berliner Konstellation ist nicht nur, dass das Musizieren und Zuhören durch Live Drawing gestalterisch sichtbar und ›lesbar‹ wird, vielmehr greift Lena Czerniawska als Zeichnerin auch impulsgebend in das musikalische Geschehen ein. Eine Fortsetzung der Serie von melting pot folgt bereits zwei Wochen später in Breslau; Gent und Oslo schließen sich im Frühjahr an.
Maciej Obara Quartet
Sa, 3. November, 23.30 Uhr
Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne
Musik der Nachtschweife, Klänge als fallende Schatten, spielendes, schimmerndes Licht, tröstende Ungewissheit. Der polnische Altsaxofonist Macief Obara und seine Mitzauberer – Pianist Dominik Wania, Bassist Ole Morten Vågan und Schlagzeuger Gard Nilssen – wandeln auf den Kämmen der Nacht, schreiten durch Schichten des Dunkel, fangen flirrende Pulse aus dem Nichts, ergehen sich tapsend im Somnambulen, landen auf mondbeschienenen Lichtungen und tanzen mit den Hexen auf der Ohrenweide. Das preisgekrönte polnisch-norwegische Quartett mit umjubeltem ECM-Debüt ist in sechs Jahren über viel Spielpraxis zu einer bestechenden Verdichtung von glühend lyrischer Klangqualität im Wechselspiel mit raueren Temperamentlagen gelangt – in einem Klangbild voll sublimer innerer Spannung, offenen Ausbruchstellen und schwelender wie auch flammender Ränder. Berlin-Debüt beim Jazzfest und ein Hörgenuss, wie geschaffen für mitternächtliche Stunden.
»Silence Meal«
So, 4. November, 12.30 Uhr
Haus der Berliner Festspiele, Kassenhalle
Dieses Mittagessen ist ein kulinarisches Erlebnis der besonderen Art. Die finnische, in Berlin lebende Künstlerin Nina Backman lädt in ihrer Performance dazu ein, sich beim Essen – einem gehobenen Drei-Gänge-Menü von Culinarium – ganz auf die eigenen Sinne zu konzentrieren und sich in der Kunst des Schweigens zu üben. Was das »Silence Meal«, das von der Künstlerin selbst geleitet wird, in den TeilnehmerInnen auslöst, ist so individuell wie die TeilnehmerInnen selbst. Hierarchien sowie kulturelle, soziale oder politische Unterschiede treten in den Hintergrund, und in der Stille entstehen Kommunikationswege, die ganz ohne Sprechen auskommen.
Der Sonntagvormittag des Jazzfest steht im Zeichen anderer Erfahrungsräume: Nach den Kiezkonzerten am Fasanenplatz mit MusikerInnen des Mary Halvorson Octet und aus Kim Myhrs Formation für »You | me« kehrt mit Nina Backmans »Silence Meal« die Stille ins Festspielhaus, zugleich lädt die Julia Stoschek Collection zu Sonderführungen durch die Ausstellung Arthur Jafas.
Kim Myhr
So, 4. November, 19 Uhr
Haus der Berliner Festspiele, Große Bühne
Der Gitarrist Kim Myhr bringt gleich drei weitere Gitarristen und drei Perkussionisten auf die Bühne. »You | me« ist die bisher ambitionierteste Solo-Veröffentlichung dieses norwegischen Klangkünstlers, eine Arbeit mit einem durchgängigen Puls, in der sich alles aus einer einzigen musikalischen Idee ableitet. Myhr geht es um die Gestaltung eines sich langsam aufbauenden, vielschichtigen Klangkosmos, der so mit Details gesättigt ist, dass man darin zu schwimmen glaubt, gleichzeitig aber die Einfachheit der Form wahrt, sodass alles als kontinuierlicher Prozess erlebbar wird. Zu dieser Dialektik der Gegensätze gehört auch, dass ein vorab konzipiertes großformatiges Werk wie dieses im Konzert von erfahrenen Vollblutimprovisatoren ausgeführt wird, wie Tony Buck (The Necks), Ingar Zach (Dans Les Arbres), Hans Hulbækmo (Atomic) und David Stackenäs (Per Zanussi Ensemble). Das Spiel mit Gegensätzen, das sich dabei vollzieht, ist nicht nur ein Statement in Sachen Musik, es lädt zum Floaten und Mäandern ein.
Veranstalter: Jazzfest Berlin
Foto: Kim Myhr © Orfee Schuijt
Haus der Berliner Festspiele
Haus der Berliner Festspiele
Schaperstraße 24
10719 Berlin
Tel. 030-25489-0
www.berlinerfestspiele.de
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